Institut

für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit (IKFN)


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Die Exkursionsgruppe um Dr. Ludwig Schipmann und Marcel Lewerentz vor dem historistischen Rathaus - auch hier finden sich bei genauerem Hinsehen Spuren von weiblichen Akteur:innen in der Stadt.

Frau Hammonia auf der Spur - Exkursion nach Hamburg vom 30.03.-01.04.2023

Unter dem Titel „Frau Hammonia“ und mit dem thematischen Schwerpunkt zu feministischer Stadtgeschichte startete die dreitätige Exkursion unter der Leitung von Dr. Johannes Ludwig Schipmann und Marcel Lewerentz am frühen Donnerstagmorgen nach Hamburg. Zur allgemeinen Orientierung gab es nach Ankunft in Hamburg eine kleine Führung von Herrn Lewerentz durch die Altstadt mit dem historistischen Rathaus, dem Michel und dem Kontorhausviertel. Im Gang der Krameramtsstuben – die als Unterkünfte für verwitwete Ehefrauen von Krämern im 17. Jahrhundert errichtet worden waren – konnten wir uns einen Eindruck von der ursprünglichen Bebauung Hamburgs machen. Diverse Umgestaltungsmaßnahmen in den vergangenen Jahrhunderten, die französische Besetzung durch Napoleon ab 1806 sowie der Stadtbrand von 1842 zerstörten große Teile der Altstadt und veränderten das Gesicht Hamburgs stetig.

Einen Eindruck der ursprünglichen Bebauung Hamburgs vermittelten die Krameramtsstuben.

Ein Muss auf der Hamburg-Exkursion: Besichtigung des "Michels" (Kirche St. Michaelis), einem der Hamburger Wahrzeichen.

Das MK&G setzte sich in der Ausstellung "The f*word" auch mit der eigenen Sammlung kritisch auseinander.

Donnerstag, 30. März: Der Krümel im Franzbrötchen

Im Museum für Kunst und Gewerbe (MK&G) brachte uns die Ausstellung „The F*word“ die feministische Kritik an der Kunst- und Museumsbranche näher. Konzipiert von der seit Mitte der 1980er agierenden aktivistischen Gruppe der „Guerilla Girls“ wagte die dreischrittige Ausstellung auch einen kritischen Blick auf die Sammlung des MK&G und fragte nach dem Anteil von Kunstwerken weiblicher Künstler:innen in dieser. Bunte Infotafeln, Filmplakate und Zeitungsausschnitte führten in die Thematik ein, beleuchteten verschiedene Perspektiven und ließen manch provokante Formulierung offen. So zeigte eine Tafel die Quizfrage: „If February is Black History Month and March is Women´s History Month, what happens the rest of the year? – Answer: discrimination.” Einbezogen wurden die Besucher:innen der Ausstellung vor allem durch eine Art Mood Board, an dem Gedanken und Gefühle zu Fragen wie „Was macht dich zum wütenden Guerilla Girl?“ oder „Wie soll es weitergehen im MK&G?“ geteilt werden konnten. Wie notwendig die kritische Auseinandersetzung mit dem Kunstbestand des MK&G und dem Anteil an Werken von weiblichen Künstler:innen ist, verdeutlichte ein Plakat, das zur Symbolisierung das Hamburger Franzbrötchen nutzte: Von 400.000 grafischen Arbeiten im Bestand des Museums machten lediglich 1,5% Arbeiten von Frauen aus – ein kleiner Krümel vom Franzbrötchen also. Am Ende der Ausstellung lud eine Auswahl an intersektionaler queer-feministischer Literatur zum Blättern und Lesen ein.

Freitag, 31. März: Von streikenden Schreibkräften und der Objektivierung weiblicher Körper in der Kunst

Über die Planung, Entwicklung und Bedeutung der Speicherstadt, die Arbeitsbedingungen vor Ort und die Geschichten der Menschen, die im Zuge des Baus der ikonischen Backsteingebäude aus dem Gebiet vertrieben und umgesiedelt wurden, informierte uns eine Führung durch das Speicherstadtmuseum. Zwischen 1883 und 1888 mussten rund 24.000 Bewohner:innen, hauptsächlich Handwerksfamilien, arme und alte Menschen – nicht ohne Aufbegehren des Hamburger Bürger:innentums – ihr Zuhause verlassen. Um die Jahrhundertwende arbeiteten zunehmend – nachweisbar – Frauen in den Gebäuden der Speicherstadt: Als Schreibkräfte oder sogenannte Kaffeeverleserinnen verdienten sie ihr Geld in einer nach außen hin männerdominierten Branche. Dies äußerte sich unter anderem darin, dass in Block O, in dem die Schreibkräfte untergebracht waren, keine Toilette für Frauen vorgesehen war. Gegen diese Diskriminierung sowie gegen sexuelle Übergriffe und Belästigungen hielten die in der Speicherstadt beschäftigten Frauen bis zum Zweiten Weltkrieg regelmäßig Streiks ab.

What defines femininity? Die Bildergalerie "Woman - Words" am Ende der "Femme fatale"-Ausstellung griff Perspektiven auf Weiblichkeit(en) auf.

Den Freitagnachmittag verbrachten wir in der Ausstellung „Femme fatale. Blick – Macht – Gender“ in der Hamburger Kunsthalle. Bei der anderthalbstündigen Führung unter der Leitung von Dorith Will wurden wir eingeführt in Entstehung, Rezeption und künstlerische Verarbeitung des Mythos der „femme fatale“, konnten im Anschluss aber noch einmal eigenständig die chronologisch aufgebaute Ausstellung begehen. Im deutschsprachigen Raum erlebte der Mythos der verführenden und totbringenden weiblichen Gestalt durch die Personifizierung des Loreley-Felsens in Clemens Brentanos Roman „Godwi“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen Höhepunkt: Zunächst Gegenstand zahlreicher literarischer Werke, fand die „femme fatale“ schließlich Eingang in die Malerei und zog sich als motivische Konstante durch das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert. Dabei bewegte sie sich in einem Spannungsfeld zwischen Attributen wie Unschuld, Zurückhaltung, aber auch offen gelebter Sexualität, Verführung, Tod und Wahn.
Die einzelnen Bilder – von den Präraffaeliten um die Mitte des 19. Jahrhunderts bis hin zu Werken um die Jahrhundertwende – zeigten dabei stets jugendliche weibliche und weiße Körper, die fast immer wenig bis nicht bekleidet waren. Immer wieder spiegelte die Malerei der vergangenen Jahrhunderte auch das jeweilige Ideal von Weiblichkeit und Frauenkörpern wider. So fanden sich in Werken aus den 1920er Jahren vor allem androgyne Körper mit Bubikopffrisur, während in der Neuen Sachlichkeit eine Entsexualisierung in der Darstellung von Frauen stattfand. Durch eine zunehmende weibliche Perspektive auf das Motiv der „femme fatale“ im Verlauf des 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart veränderte sich die Bearbeitung dessen: Während Penny Slinger mittels Fotomontagen Jean-Léon Gerômes „Phryne vor den Richtern“ kommentiert, versieht Betty Tompkins Figuren in  bekannten Werken – wie Da Vincis „Mona Lisa“ oder das um 1620 fertiggestellte „Judith und Holofernes“-Gemälde von Artemisia Gentileschi – mit Schriftzügen in hellrosa und reflektiert so kritisch den male gaze im Kontext von Kunst und Ästhetik. Neuere Werke am Ende der Ausstellung setzten sich aus queerfeministischer und intersektionaler Perspektive mit dem Mythos auseinander, der heute wohl nicht mehr so allgegenwärtig sein und trotzdem unsere (durchaus problematischen und misogynen) Vorstellungen von Weiblichkeit prägen mag.

Typisch Hamburg: Die Geschichte der ikonischen Speicherstadt ist allerdings auch eine Geschichte von Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen.

Für die Frauenrechtlerin Lida Gustava Heymann wurde im ersten Obergeschoss der "Europa Passage" eine Gedenktafel errichtet. An ihr einstiges Frauenprojekthaus an dieser Stelle erinnert dagegen nichts mehr.

Die Figur der Hammonia überwacht auf der Brooksbrücke den Übergang zur Speicherstadt.

Samstag, 01. April: Handlungsräume von Frauen – (un-)sichtbar in Hamburg?

Bevor es am Samstagnachmittag wieder zurück nach Osnabrück ging, endete die Exkursion mit einer feministischen Führung durch die Wirkungs- und Handlungsräume von Frauen in Hamburg. Startpunkt war das Rathaus, an dem wir zunächst eine Einführung in die Frauengeschichte Hamburgs durch unsere Stadtführerin Wiebke Johannsen bekamen. Im Verlauf der folgenden zwei Stunden lernten wir nicht nur wirkmächtige und bedeutende Frauen kennen, sondern bemerkten auch, wie wenig erinnnerungskultureller Raum diesen Frauen im Stadtbild heute eingeräumt wird – und das, obwohl Hamburg gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts als Hochburg der Frauenbewegung galt.
So war beispielsweile Helene Lange Mitbegründerin der Deutschen Demokratischen Partei, für die sie ab 1919 als erste gewählte Frau einen Platz in der Hamburgischen Bürgerschaft innehatte. In der Empfangshalle des Rathauses fanden sich immerhin an einer Säule Portraits von bedeutenden Frauen der Stadt, jedoch weniger aus politischen, als vielmehr aus religiösen und caritativen Kontexten. Amalie Sieveking hatte beispielsweise die Frauendiakonie aufgebaut und einen Verein für Armen- und Krankenpflege gegründet, während Elise Averdiecks Arbeit sich zunächst auf die Schulbildung für Mädchen konzentrierte, bevor sie dem von Sieveking gegründeten Verein beitrat. Die Frauenrechtlerin Lida Gustava Heymann eröffnete 1897 ein Frauenprojekthaus in der Hamburger Innenstadt, in dem neben einem Mittagstisch auch Kinderbetreuung und Beratung geboten wurden. Gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Anita Augspurg verlangte Heymann bereits Anfang der 1920er Jahre die Ausweisung Hitlers aus Deutschland, nachdem beide „Mein Kampf“ gelesen hatten. Heute befindet sich an der Stelle des Projekthauses die „Europa Passage“; an Heymanns Leben und ihre Bemühungen für Frauenrechte erinnert lediglich eine kleine Tafel im ersten Stock des Einkaufszentrums.

Auf unserer Tour durch die Hamburger Innenstadt durfte natürlich eine weitere wichtige Frauengestalt nicht fehlen: Die Figur der „Hammonia“, die in Bronze gegossen auf einem Sockel der Brooksbrücke im Gebiet des Kehrwieder steht, repräsentiert allegorisch die Stadt Hamburg und findet sich in zahlreichen Dichtungen und Liedern. Als letzte Station der Führung zeigte uns Wiebke Johannsen die Petrikirche, eine der fünf Hauptkirchen der Stadt. Der Platz vor der Kirche diente im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit als Prangerplatz vor allem für Ehebrecher:innen und ist heute belegbar als der Ort, an dem „Hexenverbrennungen“ stattfanden. Zwischen 1444 und 1642 wurden rund 50 Frauen wegen angeblicher Hexerei angeklagt und verfolgt. Die Führung schloss mit der Erzählung über das Schicksal der stadtbekannten „Zitronenjette“, die als uneheliche Tochter einer Zugewanderten gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Zitronen in den Hamburger Kneipen zu verdienen versuchte, bis sie 1916 verarmt in einer psychiatrischen Einrichtung verstarb.

In der Hamburger Kunsthalle waren wir dem Mythos der "femme fatale" auf der Spur.

Reflexion und Diskussion: Frauengeschichte nicht nur als Teil, sondern als Geschichte selbst verstehen

Raum für die Reflexion der gewonnenen Eindrücke und das Anbringen von Kritik bot sich im Rahmen einer Nachbesprechung der Exkursion, die am 26. April stattfand. Dabei wurden besonders die Konzeption der Ausstellung im Speicherstadtmuseum und die von uns besuchte Führung durch dieses Museum hinterfragt und der möglicherweise fehlende Wille zur Beschäftigung mit feministischen Themen trotz vorhandener Quellen sowie die Bedienung eines bestimmten Narratives zugunsten der Wirtschaftlichkeit des Museums problematisiert. Es sei zudem kritikwürdig, so merkten mehrere Exkursionteilnehmer:innen an, dass während der Führung stetig das angebliche Nichtvorhandensein von weiblichen Arbeiterinnen bis zum Aufkommen der Schreibkräfte- und Kaffeeverleserinnenjobs in der Speicherstadt thematisiert worden war, obgleich Care-Arbeit auch im Kontext der Speicherstadt von Frauen geleistet wurde. Man könne dem Museum dies als Anstoß zur Beschäftigung mit weiblichen Akteur:innen rückmelden, so die überwiegende Meinung des Kurses.

In Bezug auf die „femme fatale“-Ausstellung wurde vor allem die fehlende Intersektionalität, Sichtbarkeit und Repräsentation von weiblichen Künstler:innen und/oder People of Colour kritisiert. Dabei wäre die Gegenüberstellung von männlichen und weiblichen Perspektiven auf den Mythos lohnenswert hinsichtlich der Frage, ob die Objektivierung und Sexualisierung nur auf den vorherrschenden male gaze zurückzuführen wäre. Auch habe es eine Lücke in der Chronologie gegeben; ob und wie die „femme fatale“ vor allem ab der Mitte des 20. Jahrhunderts bis in die neuere Gegenwart in der Kunst behandelt wurde, blieb in der Ausstellung ungeklärt beziehungsweise sei zu kurz abgehandelt worden. Seitens des Kurses wurde die Vermutung aufgestellt, dass die Konzeption um die Bilder namhafter (männlicher) Künstler herum erfolgt sein könnte, statt die Auseinandersetzung mit dem Mythos als Ausgangspunkt zu nehmen. Positiv bewertet wurde die Gegenüberstellung der Loreley-Darstellungen aus dem 19. Jahrhundert mit einer aktuellen plastischen Darstellung, die eine Steinstruktur aus Schiefermehl zeigt und so das Loreley-Narrativ entpersonifiziert und auf seine reine Materialität reduziert. Ferner wurde die kritische Einordnung eines Werkes gelobt, das jahrelang aufgrund problematischer Darstellungen nicht gezeigt worden, in der Ausstellung aber mit einer Infotafel versehen war.

Die Stadtführung habe deutlich gemacht, wie gering die Sichtbarkeit von weiblichen Persönlichkeiten im öffentlichen Raum nach wie vor ist und dass seitens der Stadt Hamburg offenbar kein Bedürfnis zur Aufarbeitung und Informationsbereitstellung herrsche. Besonders deutlich wäre das an der Gedenktafel für Lida Gustava Heymann geworden, der nur ein kleiner und fast zu übersehender Platz in der „Europa Passage“ eingeräumt wurde. Die Exkursionsteilnehmer:innen problematisierten aber auch die eigenen individuellen Wissenslücken hinsichtlich weiblicher Persönlichkeiten und städtischen Wirkungsräumen. In Bezug auf die „The F*word“-Ausstellung wurde die Frage nach der Zielgruppe gestellt, da sich zum Zeitpunkt unseres Besuchs hauptsächlich weiblich gelesene Personen in den Räumen befanden und die Inhalte der Ausstellungen im Idealfall ein breiteres Spektrum an Besucher:innen erreichen sollte. Dabei sei es grundsätzlich notwendig, Frauengeschichte nicht nur als Teil von Geschichte, sondern als Geschichte selbst zu verstehen. Sonderausstellungen und Führungen mit feministischem Schwerpunkt seien wichtig, führten allerdings auch zu einer exklusiven Betrachtung von Frauengeschichte und einer Loslösung aus „allgemeiner“ Geschichte. Entscheidend bei der Sichtbarmachung und Informationsverbreitung seien nicht nur weibliche Akteur:innen in Kultur und Politik, sondern man müsse auch männliche Allys in die Verantwortung nehmen. Es bedürfe männlicher Stimmen, die sich gemeinsam mit weiblichen Aktivist:innen, Künstler:innen und Entscheidungsträger:innen für die Sache einsetzten.

Im Anschluss an die Nachbesprechung trafen wir uns in lockerer Runde auf ein Getränk in der Lagerhalle. Auch hier waren die Inhalte der Exkursion und die der Diskussion noch Thema. Das Feedback zur Exkursion nach Hamburg fiel – trotz der angesprochenen Kritikpunkte – insgesamt positiv aus. Es wurde deutlich, dass seitens der Studierenden großes Interesse an Exkursionen mit feministischem Schwerpunkt herrscht und dass die Erforschung von weiblichen Perspektiven im Kontext von Kunst-, Arbeits- und Wirtschaftsgeschichte nach wie vor Lücken aufweist, die es zu schließen gilt.

Amelie Pohlmann